Es war der 20. November. Ein normaler Mittwoch. Bernard Bosil, Inhaber des Jazzkellers, sitzt haareraufend an seinem Stammplatz. Auf seinem Bildschirm: Die Ticketgebühren für die Linkin Park-Konzerte im nächsten Jahr. In seinem Kopf: Die Rücklagen, die er und Jeanette Wolff, ebenfalls Inhaberin des Jazzkellers, seit 18 Jahren angespart haben und die sich dieses Jahr in Luft aufgelöst haben – oder besser gesagt: die zu 100 Prozent in den Jazzkeller geflossen sind. Bosil beschließt etwas zu tun, was er noch nie zuvor gemacht hat: Er wendet sich an die Öffentlichkeit und teilt seine Sorgen.
18 Jahre lang lief der Jazzkeller. Nicht jede Veranstaltung war ausverkauft, aber am Ende des Jahres konnten Bosil und Wolff immer mal wieder etwas zur Seite legen. 50.000 Euro haben sie so zusammengespart. Reserven, die nun aufgebraucht sind. Doch woran liegt das? War die Corona- Pandemie an all dem schuld? „Bei Weitem nicht! Während der Pandemie konnten wir nur draußen spielen und die Leute sind in Massen gekommen, egal wie schlecht das Wetter war. Selbst als die Bühne halb überflutet war, saßen sie noch mit Regenponchos da und haben die Bands gefeiert“, erinnert sich der Inhaber und fügt ironisch hinzu, „es ist schon krass, wenn man sagen muss, ´ne Pandemie wäre aus Veranstaltungssicht schöner.“
Die Verzweiflung, die Bosil damit ausdrücken möchte, ist vielen in der Live-Musikbranche bekannt. Gerade kleinere Locations kämpfen derzeit überall ums Überleben. Das weiß der Krefelder nicht nur aus eigener Erfahrung, sondern auch aus den Reaktionen, die er auf seinen Facebook-Post erhalten hat: „Über 60.000 Menschen haben den Beitrag gesehen. Menschen aus Deutschland genauso wie aus dem europäischen Ausland und obwohl jeder Club seine eigene Base hat, wurde der Beitrag eifrig geteilt.“ Bosil scheint einen Nerv getroffen zu haben und auszusprechen, was viele Kulturschaffende mit kleineren Live-Locations sich ebenfalls denken: Es kann so nicht weitergehen!
Doch wo sind die Besucher*innen hin? „Ich glaube, viele haben in der Pandemie gemerkt, dass es zu Hause auch schön ist und streamen lieber Serien. Wenn sie zu Live-Veranstaltungen kommen, dann überwiegend zu solchen, die sie kennen, wie unser Quiz oder den Karaoke-Abend. Aber sich eine Band anschauen, die man noch nicht kennt, das passiert nur noch selten.“ Früher sei das anders gewesen. Da seien Besuchende spontan vorbeigekommen, schließlich stehe der Jazzkeller für seine qualitativ hochwertige Musik, was die vierfache Auszeichnung mit dem renommierten APPLAUS-Award unterstreicht. Vorverkauf? Gab es damals nicht. Die Leute standen einfach vor der Tür und sind gekommen. Heute ohne Vorverkauf ein Konzert zu planen, sei fast unmöglich: „Wir müssen schließlich kalkulieren, ob sich der Abend irgendwie rechnet – und im schlimmsten Fall rechtzeitig die Reißleine ziehen“, so Bosil. Die Reißleine ziehen – ein Konzert abzusagen aufgrund zu geringer Ticketverkäufe –, mussten sie vor Kurzem zum allerersten Mal. Nach über 3.000 Konzerten. Ein ernüchterndes Gefühl, das in dem Video-Statement, das Bernard Bosil nur wenige Tage nach seinem Post hochlädt, mitschwingt.
Für Wolff und Bosil ist klar: „Noch ein Jahr wie dieses schaffen wir nicht. Unsere Reserven sind aufgebraucht.“ Deshalb wenden sie sich direkt an die Krefelder*innen, aber auch an alle Fans der Livemusik: „Wir haben verschiedene Unterstützungsangebote ausgearbeitet. Vom Sponsoring, einen Fanshop mit einem Jahreskalender über Spenden bis hin zur Möglichkeit, in eine Veranstaltung mal reinzuschnuppern für zwei Lieder und ein Bier, um dann zu entscheiden, ob man bleiben möchte oder nicht. Sogar ein Förderverein soll gegründet werden.“
Der Krefelder erhofft sich aus den diversen Aktionen nicht nur Aufmerksamkeit und Sponsoren, sondern vielmehr auch eine Sensibilisierung der Menschen: „Das Geld ist bei vielen zwar knapp, aber dennoch da, wenn Ticketpreise für über 350 Euro ausgegeben werden. Natürlich ist das ´ne geile Sache, Linkin Park live zu sehen, aber genauso geil ist es, andere Bands hautnah mit nur 100 Menschen in einem Raum abzufeiern“, so der Krefelder. Noch gibt es den Jazzkeller. Das Programm für 2025 steht. Doch es muss sich etwas ändern. „Wenn die Menschen nicht verstehen, dass wir kleinen Clubs und damit auch lokale und kleinere Bands auf ihren Besuch angewiesen sind, wird es bald nur noch die großen Eventhallen geben und Top Acts. Der Nachwuchs bleibt dann auf der Strecke.“ Bleibt zu hoffen, dass der Weckruf ankommt und der nächste 20. November ein besserer Tag für Bernard Bosil und den Jazzkeller wird.
Jazzkeller Krefeld
Lohstraße 92
44798 Krefeld
jazzkeller.info/2024/11/24/support-unterstuetzung
Fotos: Felix Burandt